Arbeitslos, lethargisch und ohne Geld. Ein Text über einen schleppenden Frühling im leeren Berlin. Und über die letzte Rettung: Online-Verkauf.
Von Katharina Reckers
40 Euro kostet eine Fahrradbremse. Die hässlichen Schuhe wird man für 12 Euro los. Die waren ein Geschenk von Oma. Ein Sattel bringt bis zu 30 Euro.
Keiner der beiden hat Geld auf dem Konto. Sie arbeitet eigentlich im Kino. Er in einem Fahrradladen. Beides aktuell geschlossen. Sie starren auf ihre Handybildschirme, während sie einträchtig die Bergmannstraße entlanglaufen. Jemand hätte sie mal angeschrieben wegen der weißen Jeansjacke. Wurde dann irgendwie nichts. Nur fünf Euro plus ein paar Euro Versand wollte sie dafür.
Heute machen einige Läden wieder auf. Auch Friseure vielleicht. Oder? Er will zum Friseur. Nein, er muss zum Friseur. Seine braunen, lockigen Haare stehen struppig vom Kopf ab. Sie sind so fest, dass sie sich im leichten Aprilwind kaum bewegen. Er kämmt sie nicht so häufig, er ist diese Haarlänge nicht gewohnt. 35 Euro kostet der Haarschnitt im Lieblingsladen.
Geld rankriegen
Wenn man jeden Tag zwei Bremsen verkauft, dann kommt man gut durch den Monat. Oder? Für ein Top bekommt man auf Kleiderkreisel nur drei Euro, für eine Hose 15. Sie braucht mehr Hosen, die sie verkaufen kann.
Es ist warm in Berlin. Und ungewöhnlich sauber. In einem Hauseingang liegt ein Buch. Hecht, Barsch, Zander heißt es. Auf dem Cover ist ein pinker Hecht gemalt. Sie hebt es auf. Vielleicht kann man das noch verkaufen. Es geht ums Angeln in der DDR. Den Hecht gibt es überall in Europa – nur in Spanien nicht, liest sie auf der ersten Seite. Irre, oder? Warum gibt es keine Hechte in Spanien?
Er verkauft einen Sattel mit einem Klick. 25 Euro. Läuft doch gut. Friseur hat zu. Besser so, 35 Euro ist schon teuer für einen Herrenhaarschnitt.
Ein Kumpel macht gerade ganz erfolgreich Instagram. So einen witzigen Kanal hat er, auf dem er Promis zeichnet, sagt sie. Joko Winterscheidt hat ihn sogar angeschrieben. Macht er damit Geld?, fragt er. Vielleicht bald. Er will jetzt T-Shirts mit den gezeichneten Promis drauf verkaufen. Und auch Masken, auf die will er Promimünder zeichnen, sagt sie. Witzig, oder?
Eis, Haare, Schnecken
Statt zum Friseur geht es zur Eisdiele. Spaghettieis. Lass es teilen, es kostet sechs Euro, sagt er. Auf dem Laden prangt ein Schild: „Wir schließen“. Die Miete ist zu hoch. Markthalle 9 in Kreuzberg. Sauteuer, erzählt der Verkäufer. Er wippt zu langsamen Technobeats und drückt Sahne aus einer gelblichen Gummiflasche. Sechs Euro bitte. Sie gibt sieben. Stimmt so.
Langsamer Techno heißt Schneckno. Nach der Schnecke halt. Wusstest du das? Nein. Er weiß es auch nur, weil sein Kumpel DJ ist. Dem geht’s finanziell auch gerade nicht gut. Die Clubs haben ja zu. Das wichtigste Kulturgut in Berlin, oder? Ja, schon.
Sie braucht noch Kartons zum Verschicken der Kleider. Man unterschätzt, wie teuer Kartons sind. Wirklich. Bei der Post kann man sich das fast nicht leisten. Ihm fällt ein, dass er noch einen Gucci-Traininigsanzug zu Hause hat. Irgendwo mal preiswert geschossen. Nie angehabt.
Wenn sie den verkauft, auf Kleiderkreisel, dann will er die Hälfte abhaben. Was bekommt man dafür? Richtig viel, der ist echt, sagt er. Beide starren auf ihre Handys.
Sie will heute bei ihm vorbeikommen – vielleicht hat er noch mehr Zeug, das sie verkaufen kann. Kartons und Briefmarken muss er dann aber stellen. Vom Erlös bekommt er die Hälfte ab. Wirklich. Ok. Ok.
Anruf beim Konto
Wenn er ein Kind hätte, dann wäre er Hausmann. Die Frau soll arbeiten. Kann er sich gut vorstellen so. Zu Hause bleiben und den Haushalt schmeißen. Sie auch. Das ist das Problem, sagt sie. Alle wollen zu Hause bleiben und den Haushalt schmeißen. Arbeiten will niemand.
Sie schleppen sich weiter durch die leere Straße, auf einen Park zu. Er muss noch bei PayPal anrufen, fällt ihm ein. Da stimmt was nicht mit seinem Konto. Er wählt die Nummer und hält sich sein Handy ans Ohr. Sie steckt ihres in die Hosentasche.
Zwei Typen im Park ziehen sich ihre T-Shirts aus und schmeißen ein Frisbee. Sie beobachtet die beiden. Die Musik-Box haben sie aufgedreht. Die hören Schneckno, sagt sie. Er hört sie nicht, er telefoniert mit PayPal.
Sie wünschte, sie hätte sich heute eine kurze Hose angezogen. Es ist warm. Kurze Hosen kann man nicht so teuer verkaufen wie lange übrigens. Ist ja auch weniger Stoff dran, logisch eigentlich. Sie holt ihr Handy wieder aus der Tasche.
Katharina Reckers