Deutschland könnte mehr auf Corona testen, tut es aber nicht. Warum?

Jede Woche werden allein in Deutschland hunderttausende Corona-Tests durchgeführt. Nun gab das Robert-Koch-Institut an, dass Kapazitäten für weitaus mehr Testungen vorhanden sind. Warum werden sie nicht genutzt?

Von Torben Becker

Testen, testen, testen – Das ist der Kanon, den die Weltgemeinschaft im Kampf gegen die Corona-Pandemie in den vergangenen Wochen wieder und wieder angestimmt hat. Nur so könnten Infektionsketten nachvollzogen, könne das Virus eingedämmt werden. Und die Verantwortlichen handelten: Wurden in Deutschland Anfang März rund 50.000 Tests in der Woche durchgeführt, lag die Zahl Mitte April bei rund 360.000. 

Aber: Viel mehr wäre möglich. Das Robert-Koch-Institut gab am 16. April an, dass aktuell rund 760.000 Tests in der Woche durchgeführt werden könnten. Also mehr als doppelt so viele. 

Warum dieser plötzliche Überfluss? Aus vier Gründen:

Erstens. Anfang März war die Lage unüberschaubar. Das Robert-Koch-Institut formulierte schon damals strenge Testkriterien. Wer sich testen lassen wollte, musste nicht nur Symptome wie Atemnot, Husten, Lungenentzündung und Fieber haben. Sondern auch Kontakt zu einem Corona-Infizierten gehabt haben oder in einem der Risikogebiet wie Ischgl, Tirol oder Heinsberg gewesen sein. Die „Positivrate“ der Tests lag damals bei 2,1 Prozent. Das heißt: Jeder 50., der sich testen ließ, hatte sich mit dem Corona-Virus infiziert.

Heute hingegen liegt die Positivrate bei rund 9 Prozent. Die “Erfolgsquote” bei den Tests hat sich also mehr als vervierfacht, ihre Zielgenauigkeit hat zugenommen. Warum? 

Seit dem 23. März steht Deutschland quasi still. Immer weniger Menschen infizieren sich neu. Infektionsketten wurden zunehmend nachvollziehbar. Weshalb Tests heute präziser eingesetzt werden können. Das “Rauschen”, die Zahl der Leute, die vielleicht wegen einem Kratzen im Hals zum Corona-Test wollen, ist leiser geworden. 

Labore wurden massiv ausgebaut

Der zweite Grund: Testkapazitäten werden zunehmend gebündelt. Dafür hat die Kassenärztliche Vereinigung, die bundesweit 172.000 Ärzte und Psychotherapeuten vertritt, eine Infrastruktur zur Entlastung der Krankenhäuser und Arztpraxen aufgebaut. Ein Sprecher der Vereinigung erklärte, das bundesweit 345 stationäre und 75 mobile Standorte für Corona-Testungen zur Verfügung stehen. 

Außerdem gibt es inzwischen 400 stationäre und 55 mobile Standorte für die Behandlung von Covid-19-Erkrankten. Menschen mit starken Symptomen können auf diese Weise vom medizinischen Regelbetrieb getrennt behandelt werden. Die Ansteckungsrate sinkt. Weniger Tests werden notwendig. 

Drittens: Die Laborkapazitäten zur Auswertung der Tests wurde in den letzten Wochen massiv ausgebaut. Bei Bioscientia etwa, einem Laborverbund mit 19 Standorten in Deutschland. Allein hier werden täglich bis zu 8.500 Tests ausgewertet. „Zusätzliches Personal wurde eingestellt, freie Räume in Laboren genutzt und neue Geräte angeschafft“, sagt Bioscientia-Sprecher Hendrik Borucki.  Zudem seien viele Geräte, die zuvor ausschließlich für Forschungszwecke verwendet wurden, nun im Einsatz für Corona-Testungen.

Gibt es genügen Testmaterialien?

Viertens: Heute gibt es mehr Testmaterialen und Reagenzien. In den letzten Wochen kam es bei deren Nachlieferung nicht selten zu Engpässen. Hendrik Borucki sagt, dass diese heute weitgehend beseitigt seien. Das hänge eng mit dem Kapazitätenausbau der Labore zusammen. Mit der Anschaffung von neuen Geräten hätten die Labore mehr Spielraum in der Testauswertung und könnten auf einen breiteres Angebot an Testmaterialien zugreifen. Zudem wurden durch die Osterfeiertage die Labore kurzzeitig entlastet. Das hatte zur Folge, dass Reagenzien in diesen Tagen gesammelt werden konnten, die in den nächsten Tagen eingesetzt werden können.

Allein, so gut stehen nicht alle Labore in Deutschland da. Im Diagnostik Labor Enders in Stuttgart beispielsweise mangelt es nach wie vor an Geräten und Testmaterialien. 400 Tests könne das Labor am Tag bearbeiten, erklärt ein Sprecher. Mehr gehe nicht. Eine allgemeine Aussage zum Stand der Labore in Deutschland ist schwer zu treffen.

Die Frage liegt auf der Hand: Was passiert nun mit den überschüssigen Kapazitäten?

Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Kiel, der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins, orientiere man sich an den Testvorgaben des Robert-Koch-Instituts, erklärte eine Sprecherin der Stadt. Und man wolle besser werden – und arbeite eng mit dem städtischen Krankenhaus, der Kassenärztlichen Vereinigung und privaten Laboren an einem Konzept zur „besseren und vollständigen Nutzung der Laborkapazitäten.“

Corona-Tests für „Multiplikatoren“

Unterdessen hat das Robert-Koch-Institut die Testkriterien der aktuellen Situation angepasst. Fortan sollen nicht nur Menschen, die in den letzten zwei Wochen zu einem Corona-Erkrankten hatten, an Vorerkrankungen oder schweren Atemwegserkrankungen leiden, getestet werden. Vermehrt sollen zudem Menschen, die „bei der Arbeit oder ehrenamtlichen Tätigkeit mit Menschen in Kontakt kommt, die ein hohes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf“, getestet werden.

Konkret heißt das, dass die Menschen in Krankenhäuser, Pflege- und Altersheimen mehr als bisher getestet werden, Angestellten, Bewohner, Patienten. Mit dem Fokus auf diese Risikogruppen und sogenannten „Multiplikatoren“, die durch erhöhten Kontakt das Virus schnell verbreiten könnten, sollen Infektionsketten noch schneller aufgedeckt und durchbrochen werden.

Testkapazitäten werden demnach zukünftig abgeschöpft. Zu erwarten ist jedoch, dass weiterhin Pufferzonen für unvorhersehbare Entwicklungen bestehen bleiben.

Foto: Wikimedia Commons/CC BY-SA 4.0

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