Cindy Klink, 22, ist gehörlos. Seit Corona und der verhängten Maskenpflicht kann sie immer weniger mit Menschen kommunizieren. Wie ist es, in einer Krise taub zu sein?
Protokoll: Britta Rotsch
Seit meinem dritten Lebensjahr bin ich hochgradig schwerhörig. Selbst mit Hörgeräten verstehe ich nur 60 Prozent von dem, was gesagt wird. Durch Corona wird mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt. Manchmal so sehr, dass ich morgens nicht aufstehen mag und abends weinend ins Bett falle. Das geht anderen sicher auch so, nur fühle ich mich in dieser Krise wie ein Mensch Zweiter Klasse.
Ich bin Verwaltungsfachangestellte, aber wegen der Pandemie arbeiteten wir für einige Wochen im Homeoffice. Wir haben nichts digitalisiert, das erschwert meine Heimarbeit immens. Ich kann nicht einfach einen Kollegen anrufen, wie andere das können. Wir haben zwar ein Programm, in dem wir miteinander chatten könnten, aber nicht mal ein Viertel meiner Kollegen wollte das benutzen. Das macht mich irgendwie traurig. Es wirkt, als interessiert es niemanden, was mir die Arbeit erleichtern könnte.
Diese Woche arbeiten wir wieder im Büro, was ich gut finde. Zum Glück trägt dort niemand eine Maske, sonst könnte ich mit niemandem mehr kommunizieren. Leider ist das im öffentlichen Leben nicht ganz so einfach für mich. Viele denken nicht daran, wie es für uns Gehörlose ist, wenn wir Lippen nicht mehr sehen und lesen können.
Ich muss aus gesundheitlichen Gründe öfters zum Arzt. Seit Corona kündige ich mich immer an, schreibe eine E-Mail am selben Tag und bestätige, dass ich keinen Infekt habe und zum Arzt kommen kann. Genauso bin ich an dem einen Tag vorgegangen. Ich bin in die Praxis gelaufen und alle trugen plötzlich Schutzmasken. Als mich eine Ärztin ansprach, verstand ich sie nicht wegen der Maske. Als ich das gerade sagen wollte, schmiss sie mich aus der Ordination. Sie dachte, ich hätte den Virus, weil ich durch den Schock nicht gleich antworten konnte, um zu sagen, dass ich schlecht höre. Das Missverständnis konnte zwar aus dem Weg geräumt werden, aber es gab keinerlei Hilfe für mich zur Verständigung. Die Ordinationshilfe war nicht daran interessiert, mit mir über Stift und Papier zu kommunizieren.
Durch Corona keine Hilfe von Dolmetscher:innen mehr
Normalerweise gehe ich zu solchen Terminen mit einer Dolmetscherin, aber aufgrund des Mindestabstands und den ganzen Vorkehrungen geht das jetzt nicht mehr. Leider war das nicht der einzige Vorfall. Seitdem habe ich Angst vor solchen Terminen. Ich will schließlich wissen, was mit mir passiert, wenn sie mich behandeln.
Manchmal überlege ich, was passiert, wenn ich einen Unfall baue oder auf der Straße umkippe und einen Notarzt brauche. Aufgrund der Maske verstehe ich nichts. Dann schiebe ich die Gedanken dazu weg. Fürs Erste habe ich meine Arzttermine verschoben, bis Corona vorbei ist. Aber wie lange wird das dauern?
Eine andere Situation, die es Gehörlosen wie mir erschwert: Letzte Woche musste ich zur Polizei, um eine Zeugenaussage zu machen. Durch Corona konnte ich nicht einfach in das Revier rein, sondern sollte anrufen, wenn ich da bin. Das wusste ich aber nicht, sondern las es an der Eingangstür. Da dachte ich mir nur: Hätte ich jetzt bloß gesunde Ohren. Nach solchen Erlebnissen gehe ich danach gleich nach Hause, falle auf mein Bett und weine.
Manchmal habe ich Angst aus dem Haus zu gehen
In solchen Momenten möchte ich vom Erdboden verschluckt werden oder ich wünsche mir, normal hören zu können. Ich gebe erst mir die Schuld und dann denke ich: Nein, es ist eine Behinderung, dafür kann ich nichts.
Solche Situationen nehmen mich mehr mit, als sie sollten. Mal gibt es Tage, da bin ich stark und bereite mich darauf vor. Klar kann ich sagen: „Hey, hat sich doch alles zum Guten gewendet“! Es tut trotzdem weh. Meistens ist es so, dass ich tagelang mit Freunden darüber rede und so wieder Mut bekomme.
Was ich absolut nicht verstehe: Warum es nicht selbstverständlich ist, dass wichtige Informationen im Fernsehen übersetzt werden mit einem Dolmetscher für Gehörlose. Letztens wollte ich eine Pressekonferenz mitverfolgen. Leider habe ich nichts verstanden, die Untertitel waren miserabel und es gab keinen Dolmetscher. Das fand ich total traurig und wütend macht mich das auch.
Informationen sollten auch Gehörlosen zustehen
Das sind wichtige Informationen, jeder Mensch sollte Zugang dazu haben. Was ist daran so schlimm, alles in einem auszustrahlen? Aber nein, stattdessen wird das später in der Mediathek hochgeladen. Für uns junge Leute ist das weniger ein Problem, dann komme ich eben später am Abend an die Informationen. Aber was ist mit älteren Leuten, die gar kein Internet haben und nicht mal wissen, was eine Mediathek ist?
Ich persönlich finde, dass gerade bei solchen wichtigen politischen Bekanntmachungen und Konferenzen, ein Gebärdensprachdolmetscher und Untertitel einfach dazu gehören müssen.
Um von alledem runterzukommen, gehe ich regelmäßig mit meinem Freund spazieren. Da vergesse ich alles um mich herum und lebe nur für den Moment. Ich vergesse, was passiert ist und dass eventuell wieder eine solche Situationen auf mich zukommt.