Jenseits der Angst

Seit das Coronavirus ausgebrochen ist, sterben auf den Brandenburger Dörfern weniger Menschen. Woran das liegt, weiß niemand so genau. Corona verändert das Sterben und Trauern. Einen Einblick gibt Bestatterin Petra Peschke aus Mahlow. 

Von Katharina Reckers

Das graubraune Haus wirkt wie ein Fremdkörper in der schmalen Dorfstraße in Mahlow. Die karge Rasenfläche vor dem Eingang hebt sich deutlich von den bunt bepflanzten Vorgärten der Nachbarhäuser ab. Weiße Spitzengardinen verhindern den Blick in die zwei großzügigen Fenster. „Karsten Beetz – Bestattungen“  steht über der Tür geschrieben. Schwarz auf weiß.

Petra Peschke telefoniert und presst den Telefonhörer ans Ohr, so als hätte sie Angst, ein Wort zu verpassen. In einer Vitrine hinter ihr stehen Urnen. Eine ist mit einem roten Rennauto beklebt, eine andere in Regenbogenfarben bemalt. Daneben Urnen in gedeckten Braun- und Grautönen. In der Mitte des Raumes steht ein runder Tisch, an dem vier Stühle stehen. 

Zwei der vier Stühle bleiben leer, seit die Email von der Bestatter-Innung vor einigen Wochen kam. In der Mail wurden neue Verordnungen und Richtlinien aufgelistet, an die sich Bestatterinnen und Friedhöfe wegen des Coronavirus halten müssen. Es dürfen keine trauernden Familien mehr empfangen werden. Nur noch eine Person darf zum Gespräch kommen, um die Beerdigung zu planen. Auch bei der Beerdigung selbst dürfen maximal die engsten zehn Familienmitglieder anwesend sein. Getrauert werden darf nur mit dem Sicherheitsabstand von 1,5 Metern. 

Abstand fällt schwer

Seit 22 Jahren ist Petra Peschke Angestellte beim Bestattungsinstitut. Ihr Beruf gehe weit darüber hinaus Beerdigungen zu planen und durchzuführen, erzählt sie mit sanfter Stimme. Sie kümmere sich um die Trauernden, spende Trost, nehme sie in den Arm und spreche mit ihnen. So sei das in einem Dorf wie Mahlow, man kennt sich. Man gehe miteinander um, als wäre man eine Familie. 

Kürzlich erst hätte ein alter Mann, dessen Frau sie vor zwei Jahren beerdigt hat, ein Stück Kuchen vorbeigebracht. Einige andere rufen noch Jahre später an. Einfach nur, um mal Hallo zu sagen, um mit ihr zu sprechen. Peschke legt ihre Stirn in Falten. Ihre hellblauen Augen schimmern, als sie aus dem großen Fenster guckt. 

Diese emotionale Nähe habe sich durch den Ausnahmezustand verändert, sagt sie. Petra Peschke erzählt von einer Frau, die ihren Ehemann vor einigen Tagen zu Grabe tragen musste. Bitterlich habe die Frau vor dem Grab gestanden und geweint. Ganz alleine, niemand aus der Familie durfte ihr nahe kommen und sie in den Arm nehmen. Bei diesem Anblick seien auch ihr fast die Tränen gekommen. Das ist Petra Peschke in den zwei Jahrzehnten, die sie schon an fremden Gräbern steht, selten passiert. 

Lebenswille in der Krise

„Doch es ist nicht nur Schlimmes, was der Coronavirus mit sich bringt.“ Peschke wedelt mit der Hand durch die Luft, als wolle sie die Traurigkeit aus dem Raum scheuchen. Sie beobachte ein interessantes Phänomen: Seit Corona ausgebrochen ist, sterben weniger Menschen in ihrem Zuständigkeitsgebiet. Normalerweise richte sie bis zu zehn Beerdigungen in der Woche aus. Von diesem Pensum ist sie aktuell weit entfernt. Ihren Kollegen gehe es ähnlich, sie habe schon bei verschiedenen Bestattern in der Nachbarschaft angerufen. 

Das bestätigt auch Fabian Lenzen, Pressesprecher der Bestatter-Innung Berlin und Brandenburg. Eine offizielle Erklärung dafür hat weder Lenzen noch Bestatterin Peschke. Vielleicht ist es die Ruhe durch die Isolation, die den Menschen gut tut, sagt Peschke. Vielleicht sterben weniger Menschen, weil Krankenhäuser alle riskanten Eingriffe wegen des Virus vertagen, vermutet Lenzen. 

Der Virus selbst habe in der Gegend noch kein Menschenleben gefordert. Peschke glaubt, dass das auch so bleibt. Auf dem Dorf fühlt sie sich sicher vor dem Coronavirus. Die Menschen sind diszipliniert, halten Abstand und zeigen Geduld, um andere zu schützen. Auch in größter Trauer. 

Auf der Sonnenseite

Es ist der erste warme Tag im Jahr. Die Straßen in Brandenburg sind leer. Die Sonne steht schräg über dem Friedhof, Grabsteine werfen lange Schatten auf den Rasen. Kleine Gartengeräte liegen neben den Gräbern, in der kühlen Erde knien Menschen und pflanzen Blumen ein. Glockenblumen und Hyazinthen heben sich leuchtend vom schwarzen Untergrund ab. An beinahe jedem zweiten Grab wird gearbeitet, der lange Winter weggewischt. An einem frühen Dienstagnachmittag. 

Petra Peschke streicht ihre Hose glatt. Die Krise stellt alle vor Herausforderungen. Auch sie. Peschke muss den Trauernden Nähe und Hoffnung geben, ohne sie dabei zu berühren, ohne ihnen zu nahe zu kommen. Einfach sei das nicht, aber es funktioniere. Außerdem bringe erzwungener Abstand auch schöne Veränderungen mit sich.  

Die Trauerfeiern werden nicht mehr in den kleinen düsteren Hallen abgehalten, sondern im Freien. Unter der Sonne und zwischen den ersten blühenden Blumen. Zudem würden die Menschen mehr auf sich aufpassen, auf ihre Worte und Blicke achten. „Die besondere Stille, die über der Welt liegt, lässt die Menschen zur Ruhe und Besinnung kommen“. 

Peschke streicht sich durch ihr graublondes Haar. Sie habe keine Angst und keine Befürchtungen. Die Krise wird vorbeigehen, sagt sie. Und außerdem könne der Ausnahmezustand ihrer wichtigsten Gewissheit nichts anhaben. Peschkes Augen werden von kleinen Lachfalten umspielt. 

Nach dem Tod, da gehe es weiter. Irgendwo, irgendwie. Daran hat Peschke keinen Zweifel. Und diese Sicherheit ist mehr wert als jede Umarmung. 

Bild: simplethrill, CC BY-NC-ND 2.0 

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