Die Welt steht still. So war es noch nie. Und doch: Inmitten des größten Chaos gibt es viele kleine Konstanten – Hoffnung. Wir wagen eine Blick in vier verschiedene Berufe, die dafür Sorge tragen, dass zumindest noch manches so ist, wie es war: einfach normal.
Von Torben Becker, Karolina Kaltschnee, Niklas Liebetrau und Katharina Reckers.
Die junge, schlanke Dame hinter der Theke in der Bäckerei Merzenich bedient mit einem Lächeln und über Zuruf. „Wir haben heut die knusprige Variante“, ergänzt ihre Kollegin vom anderen Ende. Hinter ihr die Brotauswahl. Vorne zeigt die Verkäuferin auf die Mohnschnecken. Mohnschnecken, alleine das Wort zu sagen formt ein ganz liebevolles Gesicht. Die Kölner lieben ihre Teilchen. Und Gluten ist das Bindemittel von Familien, Parties und eines jeden Kaffeeklatschs.
Die Bäckereien haben geöffnet, trotz Corona. Zwar mit verkürzten Öffnungszeiten, aber geöffnet. Jeden Wochentag und auch sonntags. Das Bäckerhandwerk brummt. Hier hat sich das Leben ein Stückchen Alltag bewahrt.
Sind sie der Gradmesser, an denen ein Weg aus der Krise ablesbar wird? Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, Armin Laschet, stellte noch vor zwei Wochen diese Vermutung an: „In den Bäckereien erleben wir bereits, wie das Geschäft mit den richtigen Abstandsregeln weiter betrieben werden kann. Die Menschen warten auf dem Gehweg, damit nicht zu viele in der Bäckerei stehen. Warum soll das nicht für kleine Einzelhandelsgeschäfte insgesamt gelten?“
Frühstücken wie gewohnt
Geblendet von der frühlingshaften Mittagssonne stehen vier Leute in der Schlange. Abstand wahren, Bürgersteig nicht blockieren. Die Menschen manövrieren im Slalom umeinander herum. Der Laden in der sonst so gut besuchten Kölner Einkaufsstraße ist fast leer, die Verkaufstheke abgesperrt. Hinter der hohen Glasauslage türmen sich die Berliner.
Stefan kommt heraus, hält zwei Tüten hoch. Jeden Samstag gönnt er sich sein Lieblingsbrot. Gleich kommt die Freundin, gemeinsam wollen sie frühstücken. Beide haben den Morgen in ihren eigenen Wohnungen verbracht, Sachen geräumt, organisiert. Jetzt holt Stefan Brötchen, um danach auf dem Balkon den Frühstückstisch zu decken.
Köln, am Ehrenfeldgürtel. Sonntagsmorgens um 8:30 Uhr fährt hier keine Bahn. Aber die meisten Menschen haben ohnehin ihr Gefühl für Wochentage verloren. Alles scheint Ausnahme zu sein. Unweit der Haltestelle schließt ein agiler Mittfünfziger sein Rennrad vor der Bäckerei Schweitzer ab. In voller Radlermontur und mit signalfarbenem Helm betritt er den kleinen Laden in Richtung duftender, frischer Brötchen. Die Auslage ist überschaubar bestückt, Klasse statt Masse. “Was darfs sein?”, tönt aus dem Inneren die fröhliche Verkäuferin. Sie steht schon seit Jahren hinter dem Verkaufstresen. Und ist freundlich, ob mit oder ohne Krise.
Süßes hilft gegen Stress
“Kuchen, die Leute kaufen Kuchen. Eigentlich jeden Tag”, sagt sie. Ihre Kollegin ergänzt: “Ich vermute, die Leute essen so gerne Kuchen, weil das gegen Stress hilft. Wat Süßes, sich was gönnen, n’ Stück Sahnetorte: Dat hilft.”
Hinter dem gewölbten Glas liegen überdimensionale Windbeutel. Der Chef sei traditionsbewusst, er will richtige Windbeutel. Das traditionelle Angebot bietet den frühen Besuchern am Sonntagmorgen Beständigkeit. Bekannte Geschmäcker, zuverlässige Öffnungszeiten, die gleiche Freundlichkeit. Jeden Tag. Ehrenfelder, oder ein Mohnbrötchen, aber auch Vollkorncroissants und Laugenbrötchen. Fürs Familienfrühstück eindecken, ein bisschen Duft aus der Backstube mitnehmen und gut gelaunt die Lieben mit einem Stück Sahnerolle überraschen. Erinnerungen an die Kindheit. An die Normalität. An Alltag.
Wann kehren wir zurück?
Nachdem sich die Politik in Deutschland lange Zeit geweigert hatte, öffentlich über Lockerungen nachzudenken, stellte Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch, 15. April, nun doch eine schrittweise Rückkehr zur Normalität in Aussicht. “Mit äußerster Vorsicht”, betonte sie dabei. So können schon ab der kommenden Woche kleinere Geschäfte im Einzelhandel wieder öffnen.
Dennoch bleiben die Kontaktbeschränkungen weitestgehend in Kraft. Bis zum 3. Mai soll das Meiste so bleiben, wie es derzeit ist. Schulen, Friseursalons, Restaurants sollen erst danach langsam ihren regulären Betrieb wieder hochfahren dürfen. Zudem empfiehlt die Bundesregierung das Tragen von Schutzmasken im öffentlichen Raum.
Mit diesen Regeln und Empfehlungen müsse man nun leben, solange es keinen Impfstoff gegen das Virus gebe, sagte Merkel. Der Ausnahmezustand bleibt also auch weiterhin die Norm.
Die Post liefert Normalität
Eigentlich wollte Frau Raum schon vor zwei Wochen zur Post. Päckchen für ihre Enkelkinder abgeben. Doch dann kam Corona und sie wurde vorsichtig, vermied es, aus dem Haus zu gehen. „Heute hab’ ick mir ein Herz jefasst“, sagt die zierliche Dame mit grauer Jacke und grauen Haaren.
In ihrer Tüte stapeln sich bunte Pakete. Mandalas, Stifte, Bettwäsche. Und Schokolade, aber davon nur ein bisschen, da seien die Eltern streng. Frau Raum steht auf der Berliner Schloßstraße vor der Postfiliale. Noch vor wenigen Wochen drängten sich Menschenmengen durch die Einkaufsstraße. Jetzt ist alles still. Ein kleiner Mann mit blond zurück gegelten Haaren und neongelber Security-Weste macht den Türsteher. Wie die anderen 30 Menschen wartet Frau Raum bis sie an der Reihe ist, hält Abstand.
Das Internet scheint für viele die Lösung des Problems. Doch einem Freund ein Buch leihen, der Mutter eine Nettigkeit zukommen lassen, oder mit Ostereiern die Enkelkinder beschenken, all das geht in diesen Tagen eigentlich nur per Post. Die Post- und Paketboten sorgen für ein Stückchen Normalität.
In der Schlange vor der Postfiliale etwas weiter vorne schiebt eine junge Frau mit schwarzem T-Shirt, Sonnenbrille und Tribal-Tattoos auf dem Arm einen Kinderwagen vor und zurück. In der Hand hält sie fast ein Dutzend roter, gelber und grüner Briefe. Post für Freunde und Familie. „Das mache ich jedes Jahr“, sagt sie.
Eigentlich wollte sie auch Päckchen zu Ostern verschicken, aber man könne ja kaum etwas einkaufen in diesen Tagen. „Die spannende Frage wird sein, wie unsere Normalität aussieht, wenn der ganze Spuk vorbei ist.“ Gern würde man erfahren, was sie glaubt. Doch da wird die junge Frau schon vom Türsteher hereingewunken, verschwindet in der großen Filiale.
Mehr Pakete und Briefe als im Vorjahr
Das Versandgeschäft der Post floriert. Ohne konkrete Zahlen nennen zu wollen, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit, registriere man seit Ende März täglich steigende Zahlen. Die liegen deutlich über dem Vorjahresniveau und man rechne, mit Blick auf Ostern und Einreisebeschränkungen, mit weiteren Steigerungen in den nächsten Tagen.
Ein paar Stunden später und nur ein paar Ecken von der Schloßstraße entfernt, kommt Sven Mauske, eine leere Stapelkarre vor sich her schiebend, zurück zu seinem DHL-Laster. Er ist ein schlaksiger Mann, mit nicht mehr ganz so vielen Haaren und einer kleinen silbernen Brille, mit runden Gläsern. Sven Mauske, der Paketbote, heißt eigentlich anders, seinen Namen möchte er aber nicht in der Presse lesen.
Während gerade so ziemlich jeder in seinen vier Wänden festsitzt, kann Mauske weiterarbeiten, er ist systemrelevant. „Was bin ich froh, dass das so ist“, sagt er. „Es wäre ganz schlimm für mich, wenn ich nicht mehr rauskommen würde und ausliefern könnte.“ Die meisten der Leute, denen er Pakete mit Büchern oder Spielzeug überbringt, kennt er beim Namen. Auch für sie ist er eine Konstante.
Mehr Pakete, mehr Abfall
Für Anfang April hämmert die Sonne schon gnadenlos auf den Parkplatz vor dem Tübinger Landratsamt. Knapp 20 Menschen stehen auf dem Asphalt und warten, bis sie an der Reihe sind. Sie halten sich penibel an die Abstandsregelung, dafür sorgen nicht zuletzt zwei uniformierte Aufseher. Im Erdgeschoss des riesigen Gebäudes im Industriegebiet gibt es seit kurzem einen Kundendienst. An den kleinen Fenstern der Büros sind Schalter eingerichtet. Geöffnet haben drei.
Dr. Sybille Kiefer, Leiterin der Tübinger Abfallbetriebe, steht am hinteren Ende der Fassade, dort, wo kein Kundenbetrieb mehr ist. Eigentlich hat sie ihr Büro oben im vierten Stock. Aber hier ist es sicherer. Hier gibt sie Antworten auf die Fragen zur Müllentsorgung.
„Wir fahren auf Sicht und versuchen, den Betrieb aufrecht zu erhalten“, sagt Kiefer. Sie trägt Jeans, dazu eine lässige grüne Bluse. Beim Reden steckt sie ihre Hände manchmal locker in die Hosentaschen. Die Fahrten der Müllabfuhr wurden seit Corona zeitversetzt getaktet. So haben die Müllwerker:innen kaum Kontakt zueinander. Jedes Fahrzeug ist mit Masken und Desinfektionsmittel ausgestattet. Krankheitsfälle gibt es keine. „Alles läuft eigentlich wie bisher“, sagt Kiefer.
Auch die EU-Gesundheitsbehörde ECDC hat noch keine Hinweise auf erhöhte Infektionsrisiken bei der Müllentsorgung von kontaminiertem Abfall. Sie empfiehlt in einem Schreiben vom 14. April dennoch besondere Vorkehrungen wie getrennte Abfallbehältnisse und fest verschlossene Mülltüten – auch zum Schutz der Müllwerker:innen.
Für Reservepersonal ist gesorgt
Für den Fall, dass Personal ausfallen sollte, hat Frau Kiefer mit ihrem Team schon vor zwei Wochen kluge Lösungen gefunden. Durch Corona geschlossene Fahrschulen oder eingeschränkte Speditionen könnten Fahrer:innen mit LKW-Führerscheinen als Reservepersonal für die Müllabfuhren eingestellt werden. Für Kiefer ist klar: Bevor die eigenen Mitarbeiter an den Belastungsgrenzen arbeiten müssen, wird für personellen Nachschub gesorgt.
Dass die Menschen jetzt zu Hause mehr Müll produzieren, sieht Kiefer gelassen.Vor allem Verpackungs- und Papiermüll nehme zu, weil mehr im Internet bestellt werde. Das einzige Problem aber ist: „Die Leute haben jetzt Zeit und fangen an, ihren Keller zu entrümpeln und stellen den ganzen Sperrmüll auf die Straße“, erzählt Kiefer und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn der Mensch Zeit hat, räumt er auf. Bisher wurden im Landkreis alles Entsorgt. Ein Sperrmüllverbot brauche es nicht.
Dennoch wird den Müllwerker:innen nicht wie andere systemrelevante Berufe applaudiert. Warum nicht? Dafür hat Kiefer eine Erklärung. Ob es um Müll oder Abwasser geht, diese Betriebe gelten als sogenannte Daseinsversorgung. Kein extra Nennung, keine extra Aufmerksamkeit. Außerdem seien die Lohnverhältnisse anders als im privaten Gesundheitssektor, denn wer bei der Kommune arbeite wird nach Tarifvertrag entlohnt.
Am 31. März veröffentlichte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine korrigierte Fassung der Studie „Systemrelevant und dennoch kaum anerkannt: Das Lohn-und Prestigeniveau unverzichtbarer Berufe in Zeiten von Corona“. Die Forscher:innen kamen zu dem Schluss, dass über 90 Prozent der als systemrelevant definierten Berufe eine unterdurchschnittliche Bezahlung erhalten. Auf kollektive Dankbarkeit in Ausnahmezuständen müssten daher konkrete Maßnahmen wir höhere Entlohnung sowie breitere tarifvertragliche Absicherungen folgen.
Gegen Corona hilft Sonne
Ähnlich geht es Kirsten Maier und Steffen Karrer, die am anderen Ende von Tübingen im Klärwerk arbeiten.
Unterstützung, den Normalbetrieb aufrecht zu erhalten, bekommt die junge Betriebsleiterin der Abwasserwerke und ihr Abwassermeister seit ein paar Tagen von der Sonne. „Je weniger Regen fällt, desto weniger Wasser müssen wir reinigen“, sagt Maier die im Schatten an der gelb gerahmten Haupteingangstür zum Bürogebäude der Kläranlage lehnt. Steffen Karrer, Abwassermeister seit 18 Jahren, steht zwei Meter neben ihr und nickt.
Wie bei Sybille Kiefer herrscht auch hier mit Blick auf die Krise eine abgeklärte Stimmung. Maier, die den Job seit einem halben Jahr macht, hat mit ihrem Team aus insgesamt 22 Mitarbeiter:innen einen Notfallplan erstellt: Gearbeitet wird in zwei gleich großen Teams. Kontakt zwischen ihnen ist ausgeschlossen. Im Notfall könnte so auch ein Team den Regelbetrieb am Laufen halten. Im äußersten Notfall könne für kurze Zeit das ganz System zwar von zu Hause aus gesteuert werden.
Karrer ist ins Gebäude gegangen und steht vor dem Herzstück der Kläranlage, der Schaltzentrale. Sie liegt direkt rechts hinter dem Haupteingang in einem Raum mit hohen Decken. Wie in einem Raumschiff steht vor der großen Schalttafel ein Computerpanel. Alle Lämpchen leuchten dauerhaft grün und gelb. Wenn eines blinkt, dann stimmt etwas nicht.
Dass das so bleibt, dafür will Maier mit ihren zwei Teams auch in den nächsten Wochen sorgen. Anders als bei der Müllabfuhr kann in Krankheitsfällen nicht für personellen Ersatz gesorgt werden. „Bei jedem Klärwerk ist die Wasserzusammensetzung und das Ineinandergreifen aller Systemkomponenten anders. Selbst erfahrene Mitarbeiter, mich eingeschlossen, bräuchten etwa ein Jahr um ein anderes System vollständig zu verstehen“, sagt Karrer, schaut dabei aber mit verschränkten Armen über seinem blauen Kapuzenpullover gelassen.
All das unsichtbare Weiterarbeiten
Alltag bleibt in der Ausnahme unverzichtbar. Dafür sorgt das oft unsichtbare Weiterarbeiten. Auch in Blankenfeld-Mahlow. Das graubraune Haus wirkt wie ein Fremdkörper in der schmalen Dorfstraße. Weiße Spitzengardinen verhindern den Blick durch zwei große Fenster. „Karsten Beetz – Bestattungen“ steht über der Tür. Schwarz auf weiß.
Petra Peschke telefoniert und presst den Telefonhörer ans Ohr, so als hätte sie Angst, ein Wort zu verpassen. In einer Vitrine hinter ihr stehen Urnen. Eine ist mit einem roten Rennauto beklebt, eine andere in Regenbogenfarben bemalt. Daneben Urnen in gedeckten Braun- und Grautönen. In der Mitte des Raumes steht ein runder Tisch, an dem vier Stühle stehen.
Zwei der vier Stühle bleiben leer, seit die E-Mail von der Bestatter- Innung vor einigen Wochen kam. In der Mail wurden neue Verordnungen und Richtlinien aufgelistet, an die sich Bestatter:innen und Friedhöfe wegen des Coronavirus halten müssen. Es dürfen keine trauernden Familien mehr empfangen werden. Nur noch eine Person darf zum Gespräch kommen, um die Beerdigung zu planen. Auch bei der Beerdigung selbst dürfen maximal die engsten zehn Familienmitglieder anwesend sein. Getrauert werden darf nur mit dem Sicherheitsabstand von 1,5 Metern.
Seit 22 Jahren ist Petra Peschke Angestellte beim Bestattungsinstitut. Ihr Beruf gehe weit darüber hinaus Beerdigungen zu planen und durchzuführen, erzählt sie mit sanfter Stimme. Sie kümmere sich um die Trauernden, spende Trost, nähme sie in den Arm So sei das in einem Dorf wie Mahlow, man kennt sich. Man gehe miteinander um, als wäre man eine Familie.
Kürzlich erst habe ihr ein alter Mann, dessen Frau sie vor zwei Jahren beerdigt hatte, ein Stück Kuchen vorbeigebracht. Andere rufen noch Jahre später an. Einfach nur, um mal Hallo zu sagen, um mit ihr zu sprechen.
Einsam am Grab stehen
Diese emotionale Nähe habe sich durch den Ausnahmezustand verändert, sagt sie. Petra Peschke erzählt von einer Frau, die ihren Ehemann vor einigen Tagen zu Grabe tragen musste. Bitterlich habe die Frau vor dem Grab gestanden und geweint. Ganz alleine, niemand aus der Familie durfte ihr nahe kommen und sie in den Arm nehmen.
Bei diesem Anblick seien auch ihr fast die Tränen gekommen. Das ist Petra Peschke in den zwei Jahrzehnten, die sie schon an fremden Gräbern steht, selten passiert.
„Doch es ist nicht nur Schlimmes, was der Coronavirus mit sich bringt.“ Peschke wedelt mit der Hand durch die Luft, als wolle sie die Traurigkeit aus dem Raum scheuchen. Sie beobachte ein interessantes Phänomen: Seit Corona ausgebrochen ist, sterben weniger Menschen in ihrem Zuständigkeitsgebiet. Normalerweise richte sie bis zu zehn Beerdigungen in der Woche aus. Von diesem Pensum ist sie aktuell weit entfernt. Ihren Kollegen gehe es ähnlich, sie habe schon bei verschiedenen Bestattern in der Nachbarschaft angerufen.
Trotz Corona sterben weniger Menschen
Das bestätigt auch Fabian Lenzen, Pressesprecher der Bestatter Innung Berlin und Brandenburg. Eine offizielle Erklärung dafür hat weder Lenzen noch Bestatterin Peschke. Vielleicht ist es die Ruhe durch die Isolation, die den Menschen gut tut, sagt Peschke. Vielleicht sterben weniger Menschen, weil Krankenhäuser alle riskanten Eingriffe wegen des Virus vertagen, vermutet Lenzen.
Der Virus selbst habe in der Gegend noch kein Menschenleben gefordert. Peschke glaubt, dass das auch so bleibt. Auf dem Dorf fühlt sie sich sicher vor dem Coronavirus. Die Menschen sind diszipliniert, halten Abstand und zeigen Geduld, um andere zu schützen. Auch in größter Trauer.
Es ist der erste warme Tag im Jahr. Die Straßen in Brandenburg sind leer. Die Sonne steht schräg über dem Friedhof, Grabsteine werfen lange Schatten auf den Rasen.
Die Trauerfeiern werden nicht mehr in den kleinen, oft düsteren Friedhofshallen abgehalten, sondern im Freien. Unter der Sonne und zwischen den ersten blühenden Blumen. Zudem würden die Menschen mehr auf sich aufpassen, auf ihre Worte und Blicke achten. „Die besondere Stille, die über der Welt liegt, lässt die Menschen zur Ruhe und Besinnung kommen“.
Die Bestatterin streicht sich durch ihr graublondes Haar. Sie habe keine Angst und keine Befürchtungen. Die Krise wird vorbeigehen, sagt sie. Und außerdem könne der Ausnahmezustand ihrer wichtigsten Gewissheit nichts anhaben. Peschkes Augen werden von kleinen Lachfalten umspielt.
Nach dem Tod, da gehe es weiter. Irgendwo, irgendwie. Daran hat Peschke keinen Zweifel. Und diese Sicherheit ist mehr wert als jede Umarmung.