Chantal Evans und Mario Franke haben sich am 16. April in Hildesheim das Ja-Wort gegeben – ohne Gäste, ohne Seifenblasen, ohne Tanz. Über eine Hochzeit, bei der fast alles fehlt, aber etwas anderes wichtiger ist.
Von Janina Martens
Das Brautpaar hat keinen eigenen Kugelschreiber dabei. „Eigentlich sagen wir das jetzt immer zu allen Paaren“, sagt der Standesbeamte, hat aber Stift und Desinfektionsmittel parat. Mario Franke unterschreibt, Chantal Evans unterschreibt. Fertig. Die Eheschließung ist vollzogen.
Elf Minuten, nachdem das Paar Hand in Hand durch den Seiteneingang ins Rathaus gegangen ist, tritt es wieder heraus ins Sonnenlicht. Lächelnd. Wo sonst romantische Musik erklänge, fünfzigmal „Herzlichen Glückwunsch“ und knallende Korken, ist jetzt nur ein leerer Platz, das Knipsen der Fotografin und die leisen Glückwünsche der beiden Kinder der Braut.
Das Wort „Eheschließung“ ist ein Bürokratenwort. Ein Wort, das nicht zu Freudentränen, Blumen und weißen Tauben passt und nicht zu dem Versprechen lebenslanger Liebe. Aber ein Wort, das in seiner Sachlichkeit kaum besser die Hochzeiten beschreiben könnte, die während der Corona-Zeit in deutschen Standesämtern stattfinden. In den meisten Gemeinden wird weiterhin verheiratet, Gäste sind bei der Trauung nicht erlaubt. So auch im niedersächsischen Hildesheim.
Vor dem Ja-Wort: Eine Zigarette und Amazon-Ringe
Es ist Donnerstag, der 16. April. 11.15 Uhr. Ein perfekter Frühlingsvormittag. Der Platz An der Lilie ist sonnenbeschienen. Tauben gurren. Die Knospen der Rosenranken am Rathaus schimmern rötlich. Das Fenster zum Trauzimmer im Erdgeschoss steht weit offen – die 11-Uhr-Trauung ist schon vorbei, Zeit zu lüften.
Auf dem Hochzeitsparkplatz glänzt der VW von Mario Franke und Chantal Evans in der Sonne. Der Bräutigam hat das Auto morgens gewaschen. Neben dem Wagen stehen er, 39 Jahre alt, in Turnschuhen, schwarzer Hose und blauem Hemd, und sie, 35 Jahre alt, in einem knielangen Kleid mit Blumenmuster. Ihre Hand liegt auf ihrem Babybauch. Mae, die 6-jährige Tochter der Braut, läuft hin und her. Sie zeigt stolz ihren Blumenstrauß. Der 13-jährige Sohn Shawn sitzt im Wagen.
Wie die Stimmung ist? „Aufgeregt“, sagt Mario Franke und sieht auf seine schwarze Armbanduhr. Er steckt sich eine Zigarette an. Seit heute Morgen um 7 Uhr ist die Familie wach. Der Bräutigam stand früh bei Lidl auf der Matte, um luftige Umstandskleider für seine Zukünftige zu kaufen. Denn der Frühling ist da und alle Klamottenläden haben geschlossen.
Als Mario Franke seine Zigarette aufgeraucht hat, holt er eine Schatulle mit den Ringen aus dem Auto. „Die 27-Euro-Ringe von Amazon“, sagt Chantal Evans lachend, „Vor einer Woche bestellt, am Samstag angekommen.“
Eigentlich sollte alles anders sein
Eigentlich wollte das Paar erst am 17. Juli heiraten, an ihrem zweiten Jahrestag. Mit richtigen Ringen und 50 Gästen, mit viel Sekt, weißem Kleid und rauschender Feier an der Domäne Marienburg. Und mit ihrem Baby, das im Juni kommen soll.
Aber durch Corona änderten sich ihre Pläne. Mit Corona kamen Ängste und Fragen auf. Darf Mario bei der Entbindung mit in den Kreißsaal? Darf er das Kind sehen, wenn Chantal etwas passiert? Wird die Vaterschaftsanerkennung funktionieren, wenn alle Ämter geschlossen haben?
Angesichts der Unsicherheiten entschied das Paar, die Hochzeit zu verschieben – auf einen früheren Termin. „Damit wir verheiratet sind, wenn das Kind kommt“, erklärt Chantal Evans. Das erspare ihnen später Papierkram und Stress. Und sie fühlen sich damit sicherer. Vieles sei einfacher, wenn man offiziell verheiratet ist. Die große Feier mit Familie und Freunden wollen sie nächstes Jahr nachholen.
Eine Trauung unter sechs Augen
Um 11.26 Uhr lugt der Kopf einer Mitarbeiterin des Standesamtes durch den Seiteneingang des Rathauses, ihre Hand winkt das Brautpaar heran. Nur das Brautpaar. Die Kinder müssen draußen bleiben. Als die Mitarbeiterin Mae sieht, zögert sie kurz – die Kleine könne vielleicht doch mit rein. „Und mein 13-jähriger Sohn?“, fragt Chantal Evans. Kopfschütteln. Dann nicht, das Paar diskutiert nicht lange. Sie haben damit gerechnet, es war so angekündigt. Das Standesamt erlaubt während Corona keine Freunde, keine Familie, keine Fotografen, keine Journalisten im Trauzimmer.
Draußen auf dem Platz An der Lilie vergehen die Minuten langsam und still. Mae tänzelt ungeduldig auf und ab. „Shawn sollte jetzt auch mal herkommen“, findet sie. Einige Momente später steigt er aus dem Auto und schlendert über den leeren Platz. Am eigentlichen Hochzeitstag, am 17. Juli, wäre hier der „City Beach“ gewesen: Sand und Liegestühle, Caipirinha und Salzstangen. Nun stehen die Geschwister gemeinsam in der Leere auf den nackten Pflastersteinen. Baustellengeräusche aus der Ferne.
Drinnen im Standesamt sitzen Chantal Evans und Mario Franke dicht nebeneinander auf den grauen Polsterstühlen. Die Handykamera ist auf sie gerichtet. Sie halten sich an den Händen, ihr Daumen streichelt seine Hand. Der Standesbeamte Michael Gue ist auf dem Video nur eine Stimme aus dem Off.
Der einzige Gast ist Corona
„Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihren gemeinsamen Weg zusammen gestalten und stets das Beste aus den Gegebenheiten machen.“ Aus Gegebenheiten wie Corona, könnte er sagen. Braucht er aber nicht. Denn Corona steht die ganze Zeit wie ein ungebetener Gast mit im Trauzimmer.
Die Traurede besteht nur aus wenigen Sätzen. Dann die nötigen Formalitäten. Die Zeitspanne, die sie gemeinsam in dem 25-Quadratmeter-Raum verbringen, soll möglichst kurz sein. „Das ist für mich auch komisch“, sagt der Standesbeamte, „Ich würde Sie gern drücken.“ Aber wie in den vergangenen drei Wochen gibt es auch an diesem Vormittag keine Umarmungen im Trauzimmer. Keinen Vater, der heimliche Tränen der Rührung verdrückt, keine selige Oma, keine begeisterte Trauzeugin.
Es gibt nur das Brautpaar. Sein „Ja“. Ihr „Ja“. Mario blinzelt gerührt, Chantal lächelt. Ein inniger Kuss, er berührt ihre Wange. Zusammen. Am besten für immer. Es ist dieser eine kurze Moment, ein Wimpernschlag. Das, was zählt.
Die Zigarette danach
Zehn Minuten später steckt sich Mario Evans am Auto wieder eine Zigarette an. Seit seiner letzten Zigarette vor einer halben Stunde ist viel passiert: Er hat jetzt einen anderen Nachnamen. Die Aufregung ist verflogen. Chantal und Mario Evans sind jetzt verheiratet. Trotz Corona. Und irgendwie auch wegen Corona.
2 Gedanken zu „Wie ein Paar seine Corona-Hochzeit erlebt“