Schauspieler, Musiker und Busfahrer der Profimannschaft des FC St. Pauli: Jens Peter Brose ist vielseitig. Statt in der Corona-Zeit rumzusitzen, gibt er Balkonkonzerte vor Altersheimen.
Am Anfang sind nur wenige Bewohner auf ihren Balkonen, doch als Jens Peter Brose zu spielen beginnt, werden es immer mehr.
Es ist Mittag, die Sonne scheint, und unten auf dem Rasen des Gagfah-Hesse-Hauses, einer weitläufigen Seniorenwohnanlage im Norden Hamburgs, steht Brose mit seinem Akkordeon und singt.
Alten Menschen eine Freude machen
Eine der Zuschauerinnen trägt Mundschutz und klatscht mit ihren Gummihandschuhen in die Hände, eine tanzt allein auf ihrem Balkon, die anderen stehen an den Geländern und schauen lächelnd herab. Coronakrise. Da ist der Alltag für Senioren fad geworden. Zwar sind in dieser Anlage weiter Besucher erlaubt. Aber Gruppenangebote fallen aus, Angehörige kommen seltener, dazu die fortwährende Angst vor Ansteckung. Broses Rasenkonzert ist eine willkommene Abwechslung.
Auch für Jens Peter Brose. Er ist Musiker und Schauspieler, fast alle Aufträge sind ihm gebrochen, also sagte er sich: Ehe ich zuhause rumsitze, mache ich lieber alten Menschen eine Freude. Deutschland hat Corona. Es ist eine deprimierende Zeit. Aber mit der Krise wächst die Hilfsbereitschaft, rücken die Menschen zusammen und jeder trägt bei, was er kann.
Zu Beginn seiner Show zückt Brose einen Holzstab: “Das ist mein Corona-Abstandshalter”, scherzt er. Dann hält er sich ein Fernrohr ans Auge: “Jetzt sehe ich euch!”
Als erstes singt er ein Lied von André Heller, einen Hit aus den 1970er-Jahren. “Schnucki, ach Schnucki” heißt es, ein fröhliches Schunkellied, in dem ein kleiner, dicker Indianer eine Squaw begehrt. Die Zuhörer schmunzeln.
Der Mann mit dem Leuchtturm
“Warum habe ich einen Leuchtturm dabei?”, fragt er nun sein Publikum und weist auf den metallenen Leuchtturm, größer als er selbst, den er auf seinem Fahrradanhänger festgeschnallt hat. Sein Markenzeichen.
“Damit du wieder heim findest”, feixt eine Frau vom Balkon. Brose lacht laut und stimmt das nächste Lied an, ein Gedicht von Wolfgang Borchert, das er vertont hat mit einer melancholischen Melodie.
„Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind –
für Dorsch und Stint –
für jedes Boot –
und bin doch selbst
ein Schiff in Not!“
Die Leiterin der Wohnnlage steht einige Meter neben ihm und schaut zu. Sie trägt Perlenohrringe, hinter ihrem Ohr klemmt das Gummiband ihres türkisfarbenen Mundschutzes. “Komm her, Schätzelein”, ruft später eine Dame vom Balkon. Von der Leiterin weiß Brose, dass sie Paula heißt, keine Familie hat, viel allein ist und noch am Morgen mit eingefallenen Schultern am Tisch ihrer Wohnung saß. Als Brose zum “Ständchen für Paula “ ansetzt, klatscht Paula in die Hände.
„Ich bin ein Kau-Schau-Bu“
Jens Peter Brose hat viele Talente. „Ich bin ein Kau-Schau-Bu“, pflegt er zu sagen, „ein kaufmännischer, schauspielender Busfahrer“. Nach der Schule machte er eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann, später eine Schauspielausbildung, und noch später wurde er Busfahrer.
Seit einigen Jahren fährt er die 1. Mannschaft des FC St. Pauli zu ihren Auswärtsspielen. Er ist ein Lebenskünstler, einer, der viele Fans in Hamburg hat, vor allen Dingen aber jemand, der sich immer wieder neu erfunden hat. Und damit zum Vorbild für viele wird für die Corona-Zeit.
Nach der Schule verkaufte er auf dem Markt Obst, um seine Schauspielausbildung zu finanzieren, verpackte er Porzellan, und um Frau und vier Kinder durchzubringen, arbeitete er immer wieder als LKW-Fahrer. Später lief es einige Jahre ganz gut, er hatte feste Engagements an Theatern und spielte Nebenrollen im Fernsehen, im “Tatort” etwa oder beim “Notruf Hafenkante.“ Aber dann wurden die Engagements weniger. “Vor 11 Jahren lief nichts mehr in meinem Beruf. Kein Theater, kein Fernsehen”, sagt er.
Busfahrer des FC St. Pauli
Also wurde er Busfahrer. Zunächst fuhr er Schulklassen zum Museumsausflug und Senioren zum Kreuzfahrtterminal. Und weil er nicht nur zuverlässig ist, sondern auch ein guter Typ, fährt er seit einigen Jahren die Zweitligamannschaft des FC St. Pauli. Der Verein hat einen Vertrag mit dem Busunternehmen, bei dem Brose arbeitet. “Ich komme vom professionellen Theater und Fernsehen”, sagt Brose. “Ich weiß, was Profitum und Disziplin bedeuten.” Viele Spieler kennt er inzwischen gut, mit dem Trainer versteht er sich blendend, und wenn sie ihn fragen würden, er würde ihnen unterwegs glatt etwas vorsingen.
Zweites Haus der Seniorenwohnanlage. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind noch rüstig, sie haben eigene Wohnungen und gehen selbst einkaufen, kochen in ihren Küchen, unternehmen für gewöhnlich aber viel miteinander. Wenn nicht Corona wäre.
Die Heimleiterin hat heute Geburtstag: „Das ist das schönste Geschenk, dass wir Abwechslung haben”, sagt sie, während sie in ihren weißen Turnschuhen voraus läuft und mit dem von Brose mitgebrachten Glöckchen klingelt, um die Bewohner auf ihre Balkons zu locken.
Eine Dame im gestreiften Pullover sitzt einsam im Rollstuhl auf ihrer Terrasse und wartet auf seinen Auftritt. Die Rolläden sind halb geschlossen, in der Wohnung ist es dunkel. Als Brose beginnt, das plattdeutsche Lied “An de Eck steiht ´n Jung mit´n Tüddelband” zu singen, schunkelt sie in ihrem Rollstuhl, eingerahmt von zwei Gartenzwergen.
Der Blusenkauf
Dann deklamiert Brose “Der Blusenkauf”, ein Lied aus dem Jahr 1927, geschrieben hat es der Komiker Otto Reutter. Ein Mann begleitet darin seine Frau in ein Geschäft, sie braucht eine neue Bluse und kann sich dann nicht entscheiden – bis der Mann schließlich tot umfällt. Das Lied endet mit der Zeile: “Und in den Laden starrt se: ,Dann geb’n Sie mir ’ne schwarze.’“
Brose hat keinen Verstärker dabei, das Haus hat fünf Stockwerke, er muss die Stimme heben, damit ihn alle hören, und macht dann jedes Mal, wenn es um die Farbe der nächsten Bluse geht, eine Pause. Damit seine Zuhörer die Zeile ergänzen
“Da fällt mir ein, Frau Doktor Schmidt geht immer mit der Mode mit – und die trägt jetzt ‘ne…”, ruft er und schaut die Zuschauer erwartungsvoll an. Aber niemand hat es verstanden. Also ergänzt er schließlich selbst: “Gelbe! Ja, Mensch, ihr müsst schon zuhören”
Nächste Strophe: “Zeigt frohe Hoffnungsmiene, Ach, geben sie mir ‘ne...” Nun schallt es von zwei Balkonen: “Grüne!”
Nach der Show
Vier Shows vor vier Häusern sind vorüber, zwei Stunden sind vergangen, Brose sitzt auf einer Terrasse der Wohnanlage und trinkt einen Tee, damit sich seine Stimmbänder wieder erholen. Früher habe er seine Kinder im Fahrradanhänger herumgefahren, heute fahre er den Leuchtturm herum. Es sei eine Art Symbol: Wenn sein jüngster Sohn volljährig werde, wolle er sich wieder ganz der Kunst widmen, habe er sich gesagt. Und das sei jetzt.
Am 23. Februar war Premiere seines Solo-Programms, bei dem er Gedichte und Lieder vorträgt und sich dabei selbst auf dem Akkordeon begleitet. In seinem Repertoire hat er bekannte, aber in Vergessenheit geratene Stücke, die er auf seine Art interpretiert. Aus einem Cowboylied wird ein Seemannslied, aus einer Ballade ein rockiges Akkordeonstück.
In Zeiten von Corona tritt Brose nicht nur in Senioreneinrichtungen mit Sicherheitsabstand auf, er spielt auch abends auf der Straße am Michel in St. Pauli oder auf Geburtstagen.
Brose ist überzeugt, dass er in einem früheren Leben Bänkelsänger war, ein fahrender Sänger, der von Ort zu Ort ging, um den Menschen Nachrichten zu erzählen. In der Corona-Zeit schenkt er den Menschen ein Lächeln und lässt sich dabei selbst nicht unterkriegen.
Gut das es in dieser Zeit noch ein paar “ Kopf hoch -Menschen “ gibt . Jens mach weiter so !